Aus Gründen der Höflichkeit werde ich den Namen der Hauptperson in diesem Beitrag anonymisieren. Denn Madam O ist, O-Ton: kompliziert bzw. ihre Nationalität ist es und verdient daher mal eine nähere Betrachtung. Sie ist ukrainisch-kanadisch, aber wohl mehr kanadisch wie sie zu jeder noch so unpassenden Gelegenheit raushängen lässt. Ich habe mal irgendwo gelesen, dass sich Neuankömmlinge in einer Gesellschaft meist sehr patriotisch verhalten. Madam O wäre ein Musterbeispiel für einen solchen Prozess. In ihrem quietschig-breiten kanadischen Englisch versucht sie jede neue Erfahrung auf Winnipeg und ihr geliebtes Manitoba zu beziehen. In Manitoba sind die Winter kälter, die Bäume höher und überhaupt Kanada ist ein tolles Land. Gestern hat sie uns dann allen Ernstes ganz unzusammenhangslos beim Grillen erzählt, dass Nordamerikaner beim Barbeque Marshmallows zubereiten, und das als die schönsten Hähnchenteile lecker zu duften begannen. Aber damit nicht genug. Zeitgleich ist sie noch ein wenig besserwisserisch veranlagt und lässt jeden an ihrem Wissen teilhaben. So zum Beispiel, dass ihr Vater sogar im tiefsten russischen Permafrost-Gebiet Bäume entdeckt hat. Sehr zu ihrer Verwunderung. Außerdem passen die meisten wissenschaftlichen Definitionen der Arktis nicht in ihr Weltbild wie sie vehement betont. Zu schade, dass sie sich daran gewöhnen muss, ;-). Am nervigsten ist aber, dass sie sich sehr gerne neben mich setzt. Bisher hatte ich immer gedacht, meine Ohren seien altersbedingt schon gegenüber hohen Tönen abgestumpft, aber ihre quietschige Stimme lehrt mich eines Besseren. Und so ertappe ich mich des Öfteren bei dem zugegebenermaßen sehr gemeinem Gedanken, ihrem Zahnarzt, der ihr die Zähne für eine ganze Stange Geld – darunter allein 280 Bucks (O-Ton) für eine Füllung – gemacht hat, bei Gelegenheit aufzusuchen und ihn zu fragen, warum er nicht versehentlich die Zunge herausschneiden konnte. Fairerweise muss ich allerdings anfügen, dass sie wirklich eine Menge Vorwissen zum Thema hat, gepaart mit finnischer Zurückhaltung, könnte sie es weitbringen, ;-).
Autor: chris
Seit 2006 betrachte ich die Welt durch den Sucher und arbeite als freiberuflicher Journalist und Fotograf. Stilistisch kann ich dabei auf eine Ausbildung als Mediengestalter im Druckstudio in Düsseldorf und ein Bachelor-Studium an der Fachhochschule Gelsenkirchen im Fachbereich Journalismus und Public Relations zurückgreifen. Kulturellen Thematiken und Zusammenhängen habe ich mich in einem Master-Studium im Fachgebiet Kultur- & Sozialanthropologie an der Philipps-Universität Marburg gewidmet. Dieses Wissen konnte ich durch Studien- und Arbeitsaufenthalte in der Karibik, Asien, Afrika und Fenno-Skandinavien vertiefen. Seit 2010 verantworte ich beim Marburger Verein TERRA TECH Förderprojekte die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.