Total abgefahren, oder wie kommt das Motorrad in die Lahn?

Ein Schrotthaufen, ein selbstgebasteltes Plakat und eine Spendendosen weisen mir den Weg. Etwas oberhalb der Mensatreppen tauchen heute wieder ein paar engagierte Jungs nach Müll in der Lahn. Lahntaucher – der Name ist Programm. Als ich mich dem Tauchort nähere, bin ich überrascht, was hier los ist. Im Wasser sind vier Taucher, am Land stehen ein Kameramann sowie ein Vater mit Sohn, die mit einem Magneten in der Lahn fischen. Wie ich lerne, gehören nicht alle zum Team der Lahntaucher. Zur Kerngruppe gehören Noah und Fabi, zwei der Taucher, und Mattis, der Kameramann. Die andern beiden Taucher haben sich der Gruppe heute angeschlossen. Vater und Sohn sind eher zufällig am selben Ort.

„Du hast dir einen guten Tag ausgesucht,“ werde ich von Noah aus dem Wasser heraus begrüßt. „Wir haben hier wahrscheinlich ein Mofa gefunden.“ Näheres wissen die Taucher auch noch nicht, denn bisher schaut nur ein Reifen aus dem Schlick. Der scheint aber für ein Fahrrad zu dick zu sein. Für die Taucher bedeutet dies schwere Arbeit. Sie müssen im trüben Wasser erst einmal Grabungsarbeiten leisten. Für mich bedeutet dies, dass ich viel Zeit habe. Zeit zum Beobachten, Fotografieren und Filmen.

Und es gibt viel zu beobachten. Die Arbeitsweise der Jungs fasziniert mich als Außenstehenden. Spaß steht ganz klar im Vordergrund. Trotzdem sind alle ernsthaft bei der Sache. Zwischenzeitlich geht eine Schaufel im Schlick verloren. Schnell wird nach Alternativen gesucht, um die Arbeit fortzusetzen. Dazu wird eine Plastikflache aufgeschnitten und zur Schaufel umfunktioniert. Einer der Taucher ruft seine Mutter an, diese bringt spontan Schaufeln und Kuchen vorbei. An diesem Beispiel wird klar, wie das Engagement der Jungs auch andere aktiviert. Gelegentlich kommen auch Passanten vorbei, die neugierig sind, was hier passiert. Einige kennen das Projekt bereits aus den Medien und wollen nur schnell ein Lob los werden.

Zur medialen Reichweite trägt auch die Präsenz auf Instagram bei. Während die Taucher im Wasser sind, wuselt Mattis am Ufer, um deren Engagement ins rechte Licht zu rücken. Für die Dokumentation kommt sogar eine Drohne zum Einsatz. Irgendwann lande ich dann auch vor der Kamera. Mattis bittet mich um ein spontanes Statement. Klar, unterstütze ich das Engagement der Jungs gerne und lasse ein paar lobende Worte los. Dann stehen aber wieder die Taucher im Mittelpunkt. Denn mittlerweile haben sie das Gefährt so weit freigelegt, dass sie es aufrichten können. Nach drei Anläufen taucht dann wirklich ein Motorrad aus dem trüben Lahnwasser auf. Und es ist noch überraschend gut in Schuss. Mit einem Gewicht von knapp unter 100 Kilo ist dieser Fund ein weitere gewichtiger Posten auf dem Müllkonto der Taucher. Und natürlich bleibt der geborgene Müll nicht am Lahnufer zurück. Die Lahntaucher haben eine Kooperation mit dem DBM, dessen Mitarbeit die Funde abholen. Übrigens ist auch die verschwundene Schaufel schlussendlich wieder aufgetaucht.

Wie alles begann

Weidenhausen ist der Marburger Stadtteil, der am meisten von der Lahn geprägt ist. Zwischen Mensatreppen und Campingplatz liegen der Marburger Hafen, der DLRG-Steg und das Grüner Wehr. Kein Wunder, dass hier die Idee des großartigen Projekts Lahntaucher entstand. Los ging es im Juni 2020 am DLRG-Steg. Eine Bekannte von Noah verletzte sich beim Baden in der Lahn.“ Dies war die Idealzündung für uns,“ berichtet mir Basti als wir uns ein paar Tage nach der Motorradbergung auf seiner Terrasse in Weidenhausen treffen. Damals nach dem Badeunfall haben sich die Jungs ihre Taucherbrillen geschnappt, um nachzusehen, was in der Lahn schlummert. Gleich der erste Fund war eine Bohrmaschine mit Bohrer. Weitere kuriose Funden waren eine mittelalterliche Speerspitze, eine Mikrowelle, ein Kanu und eine Waschmaschine. Einkaufswagen, Fahrräder und Straßenschilder zählen schon fast zu den Standards eines Tauchgangs. So kommen ganz Berge an Müll zusammen. Die Zielmarke von 1000 Kilo Müll für 2021 haben die Jungs schon im Juni gerissen. Seit sie über Instagram auf ihre Arbeit aufmerksam machen, hat auch die öffentliche Wahrnehmung Fahrt aufgenommen. Der Kanal wächst schnell. Auch ich bin über Instagram auf die Taucher aufmerksam geworden. „Klar ist unser Thema, Müllsammeln gerade sehr en vogue. Das Interesse kommt aber sicher auch über die Faszination für das Unbekannt. Für viele bedeutet ein offenes Gewässer Nervenkitzel. Denn man sieht nicht, was im Wasser unter einem lauert,“ sagt Basti. Bei der Frage nach der Qualifikation zum Tauchen lacht er laut auf. „Uns qualifiziert nichts, wir sind einfach blöd genug es zu tun.“ Noah und er hatten vorher nur Schnorchelerfahrungen. Fabi, der erst vor einiger Zeit zum Team stieß, ist ausgebildeter Taucher. „Aber wir tauchen ja eh nur apnoe.“

„Uns qualifiziert nichts, wir sind einfach blöd genug es zu tun.“

Motivation

Im Gespräch mit Basti wird klar, was die Jungs wirklich antreibt. Naturschutz geht vor Nervenkitzel und Medienrummel. Basti redet immer dann ganz eindringlich, wenn er auf Verschmutzung zu sprechen kommt. „Ich konnte Müll noch nie liegen lassen. Leider hat in Deutschland mittlerweile ein ‚Broken-Window-Effekt‘ eingesetzt. Wir sind es gewohnt, dass Orte nicht mehr so sauber sind, da kommt dann schnell weiterer Müll hinzu.“ Dagegen wollen die Jungs angehen. „Wir denken über weitere Aktivitäten im Bereich Umweltbildung nach. Dazu stehen wir im Kontakt mit Schulen.“ Ziele dieser geplanten Aktivitäten sind, ein Vorbild für Kids zu sein und Nachahmer zu motivieren.

Das Tauchen verstehen die Jungs als Ehrenamt. „Es soll auch ein Ehrenamt bleiben, aber unsere Ausrüstung kostet uns natürlich Geld. Daher würden wir uns über ein wenig finanzielle Anerkennung freuen,“ erklärt Basti. Von dem Geld würden sie beispielsweise einen Anhänger für ihr Equipment und den gesammelten Müll kaufen.

⇒ Lahntaucher ganz bequem online unterstützen: PayPal friends @lahntaucher

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