Bei Tageslicht entpuppt sich mein Nest der Geborgenheit als in die Jahre gekommene Jugendherberge. Die Küchenzeilen sind abgenutzt, ein Kühlschrank dient nur als Zierde und der Aufenthaltsraum verbreitet die fensterlose, schläfrige Geborgenheit einer Winterschlafhöhle. Aber das Hostel liegt sehr günstig. Alle Ziele in Luleas Zentrum sind 5-10 Minuten zu Fuß entfernt. Und Luleas Zentrum liegt sehr schön am Meer wie ich auf einem Spaziergang vor dem Frühstück entdecke. Auch die Innenstadt ist sehr schön, jetzt noch etwas Wärme…, aber die soll heute ausbleiben, ;-).
Nach dem Frühstück brechen wir auf nach Gammelstad. Was nach einem übelriechenden Fischhafen klingt oder ähnlich wilde Assoziationen hervorrufen könnte, ist das 15 Busminuten entfernte, gar nicht gammelige, alte Zentrum von Lulea. Durch die Landanhebung, die seit dem Ende der Eiszeit in diese Region anhält, verlandete der alte Hafen zunehmend und Lulea wurde an seinen heutigen Ort verlegt. An die ehemalige Inseln, auf denen das alte Zentrum rings um die Holzkirche lag, erinnert heute nur noch ein kleiner Bachlauf, er ist das einzige Gewässer weit und breit. Aber nicht nur die immer noch anhaltende Landerhebung ist eine Besonderheit, sondern auch Gammelstad an sich bemerkenswert. Denn das Örtchen gilt als das best erhaltene Kirchdorf in Schweden. Die kleinen Holzhäuschen rings um die Kirche dienten im Mittelalter den Bauern und Gutsbesitzern, die an Wochenenden aus dem Gemeindegebiet (immerhin ein Gebiet so groß wie Belgien und die Niederlande) zur Kirche strömten, als Schlafstellen. (Massenwanderungen aus religiösen Anlässen am Wochenende? Das klingt doch sehr nach Fußballbundesliga, ;-).) Viele Gemeindemitglieder reisten samstags für die Messe am Sonntag an, permanentes Wohnen in den Häuschen war nicht gestattet. Ein Gebot, das auch heute für die alten Schlafhäuschen noch Bestand hat, allerdings gibt es inzwischen auch Wohnhäuser, Künstler, Atelier und Cafés im Dorf. Achja, zum Klugscheißen: Gammelstad leitet sich von gamla staden (alte Stadt) ab.
Direkt neben dem Kirchdorf befindet sich ein wunderschönes Freilichtmuseum. Irgendwie rechne ich bei der Kulisse damit, dass jeden Augenblick Michel von Lönneberga um die Ecke rennt und Streiche ausheckt. Das Konzept des Museums ist auch für Kinder toll. Es gibt zahlreiche Spielmöglichkeiten und Entdeckungsmöglichkeiten. Dazu kommen Tiergehege und Gemüsebeete, echt super. Zwar sind die Häuser jetzt in der Nachsaison nicht begehbar, dafür ist der Eintritt frei und wir können die schöne Kulisse fast alleine genießen.
Nach dieser Reise in die Vergangenheit bildet Luleas neues Zentrum ein belebtes Kontrastprogramm, dies erfahren wir, als wir uns mit Proviant für die Weiterreise eindecken. Denn der Tag ist noch lange nicht vorbei. Heute steht uns die einzige Nachtfahrt des gesamten Trips bevor. Ausgehend von 20 Uhr, werden wir Uppsala ca. 13 Stunden später erreichen.
Die Zugbuchung hatte sich heute morgen als Herausforderung erwiesen. Zuerst bot die Buchungsseite im Internet nur teure Liegeplätze an, dann akzeptierte sie den Interrail-Rabatt nicht. Daher musste der freundliche Mitarbeiter im Call-Center weiterhelfen (Ticketbüros gibt es nur in großen Städten). Bei ihm kann ich dann immerhin auch einfache Sitzplätze buchen, die Tickets können wir mit einem Zahlencode problemlos am Terminal am Bahnhof ausdrucken (beeindruckend). Allerdings geht bei dem Anruf fast das gesamte Prepaid-Guthaben meines Handys drauf. Und dann trage ich auch noch ein falsches Datum in die Interrail-Pässe ein. Bei Nachtzügen, die nach 19 Uhr losfahren, darf das Datum des Folgetages eingetragen werden. Ich trage aber das heutige Datum ein. Theoretisch könnten die Schaffner uns auffordern noch einen weiteren Tag nachzutragen.
Aber im Zug erweist sich, dass wir Glück haben. Denn die schwedischen Schaffner handhaben die Tickets gewohnt lax, sie interessiert viel mehr unsere Sitzplatzbuchung. Auch mit Plätzen haben wir Glück. Denn niemanden stört es, dass wir für unser mitgebrachtes Salatbuffet ins abgetrennte Sechserabteil umsteigen. Auch nachts werden diese Plätze nicht anderweitig beansprucht. So können wir uns mehr (Janni) oder weniger (ich) gut ausstrecken und verbringen eine Widererwarten recht erholsame Nacht.

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