Der  heutige Morgen beginnt mit Regen. Die grauen Wolken bleiben zwar am Himmel, aber als wir um 11 Uhr aufbrechen ist es trocken. Heute wollen wir Seurasaari einer weiteren Insel vor Helsinki einen Besuch abstatten. Unter anderem befindet sich dort ein Freilichtmuseum, welches finnisches Landleben darstellt. Die unterschiedlichen Gebäude aus den verschiedenen Regionen Finnlands sind gut erhalten und bieten nette Eindrücke. Als wir zufällig in eine Seniorenführung geraten, haben wir sogar Zugang zu sonst verschlossenen Gebäuden. Mit unseren neugewonnenen Freunden, watscheln wir auch noch zur Holzkirche. Hier erweisen sich die Alten als kleine Kinder. Egal, ob erlaubt oder nicht, sie müssen alles antatschen – vielleicht sehen sie schon schlecht? Für uns wird es Zeit, auf Wiedersehen zu sagen und das Gelände auf eigene Faust zu erkunden.
Dabei sehen wir an einigen Ecken des Parks aufgebrezelte Menschen, von denen vor allem die Weibchen in Stöckelschuhen über den Waldboden staksen. Die Holzkirche ist ein beliebter Ort für „ausgefallene Hochzeiten“. Zugegeben, die Kulisse ist toll, aber wenn schon im historischen Rahmen heiraten, dann auch in passenden Gewändern.
Vom Freilichtmuseum fahren wir zurück nach Helsinki. Auf der Esplanadi ruhen wir aus und warten auf Kaja und Juka, mit denen wir zum Abendessen verabredet sind. Es ist 17 Uhr und wir haben schon gut Hunger. Die Wartezeit wird uns von den Teilnehmern des Helsinki-Marathons verkürzt, die unter tosendem Jubel an uns vorbeieilen.
Um 18.30 steigen wir zu Kaja und Juka in den BMW (das nenne ich Geschmack). Mein Magen knurrt ein wenig, ich hoffe man hört nichts. Die beiden fragen, was wir schon besichtigt haben. Stolz zähle ich auf, nicht ahnend, dass ich damit den Startschuss zu einer halben Finnlandrundreise gebe. Denn Juka lässt es sich nicht nehmen uns weiter abgelegene Ecken zu zeigen. So brausen wir in den Hafen für die Kreuzfahrtschiffe, zur für heute leider geschlossenen Felsenkirche, in das Villenviertel Helsinkis, zur technischen Hochschule in Espoo (einer Nachbarstadt), zu den Jugendstilhäusern auf Katajanokka, vorbei an den Übergangssiedlungen der Roma und durch den Stadtteil Alt-Hertoniemi. Die ersten Etappen dieser Tour werden begleitet von den Marathon-Läufern, zumindest von den Nachzüglern, auf die man überall noch trifft und meinem Magenknurren.
Um 21 Uhr erreichen wir das Restaurant „Alte Mühle“, das ganz in der Nähe unserer Wohnung liegt. Dank Jukas ausführlicher Erläuterungen war die Rundfahrt eine sehr informative und intensive Stadtführung der anderen Art, aber jetzt habe ich doch so richtig Hunger. Doch das nette Lokal sowie das schnell servierte, sehr lecker Abendessen verschaffen schnell Abhilfe. Außerdem bietet der entspannte Abend eine gute Möglichkeit aufgestaute Fragen loszuwerden. So will ich von Juka wissen, ob es eine Systematik bei den Nummernschildern gibt. (Nein gibt es nicht. Die alte Regelung, bei der man sah, woher ein Halter kam, wurde vor einigen Jahren abgeschafft. Heute gibt es ein Schild mit je drei Zahlen und drei Buchstaben.) Außerdem interessiert es mich, wie Finnen mit dem hohen Preisniveau klarkommen. (Laut Juka kaufen Finnen sehr gerne lokale Produkte, da vor allem Obst durch die langen Sonnenzeiten im Sommer besser schmeckt als importiertes, aber natürlich sieht er das Oligopol der beiden großen Lebensmittelketten als problematisch an. Durch die Öffnung des Markts, beispielsweise für Lidl, kommt dieser aber in Bewegung. Im übrigen ist der Kaufkraft-Index in Finnland laut Juka ganz gut.) Bei meiner Frage, ob er sich auf die kurzen Nächte im Sommer jedes Jahr einstellen müsse, lacht Juka nur. Nachtsonne im Sommer sei in Finnland so natürlich wie Regen. Als Verkehrsexperte (Juka arbeite bei der Fluglinie Finnair) kann er uns auch einige interessante Dinge zum finnischen Eisenbahnnetz schildern. So sind finnische Gleise breiter als im Rest von Europa. Dies hängt mit der russischen Vergangenheit und den extremen Witterungsbedingungen zusammen, diese sorgen auch dafür, dass Schnellzüge in Finnland nur ca. 200 km/h Höchstgeschwindigkeit erreichen. Außerdem ist das Streckennetz aufgrund der relative geringen Besiedlungsdichte auch sehr grobmaschig.

Leave a Reply