Um fünf Uhr klingelt der Wecker. Wir müssen nämlich in Ernakulam den Bus um acht Uhr kriegen. Laut der freundlichen Dame in einer Reiseagentur soll das der komfortabelste sein.
Und von Fort Kochin nach Ernakulam müssen wir ja auch noch die Fähre nehmen.
Punkt sechs, wie geplant verlassen wir das Gasthaus. An der Straße bekommen wir auch sofort eine Rikshaw. Der Fahrer sieht nach einer kurzen Diskussion ein, dass wir für die zehn Gehminuten nicht mehr als zehn Rupien zahlen.
Die Fähre fährt pünktlich und nach kurzem Verhandeln und einer etwas längeren Fahrt landen wir gut am Busbahnhof. So weit so gut. Doch jetzt wird es anstrengend. Laut Reiseführer und der Dame in der Reiseagentur fahren oft Busse nach Kumily. Davon weiß der Mann am Informationsschalter leider wenig. Er schaut in einen Terminplaner, da hat er wohl seine Beobachtungen der letzten 20 Jahre in Bezug auf Busfahrzeiten niedergeschrieben. Einen offiziellen Fahrplan scheint es nicht zu geben. Schließlich stolpert er über eine Seite mit Einträgen zu Kumily. Dann zeigt er in Richtung einiger Busse und sagt irgendetwas von zehn Minuten. Zu einer genaueren Aussage ist er nicht zu bewegen.
Wir gehen in die angegebene Richtung, doch die Busse dort fahren nicht nach Kumily. Wir suchen nach anderen Informationsquellen. Die zweite Auskunft ist geschlossen. Schaffner an den Bussen schütteln entweder verständnislos den Kopf oder verweisen uns zum Informationsschalter. So langsam drehe ich am Rad. Ein Schaffner nuschelt in gebrochenem Englisch irgendwas von „Kottayam, drüben“. Doch wir hören ihm nicht zu. Schließlich läuft Kiddy noch mal zum Infoschalter. Jetzt hat der Beamte eine neue Auskunft für uns bereit. Er ist der festen Überzeugung, er habe uns schon gesagt, dass der direkte Bus nach Kumily bereits weg sei und wir einen Bus nach Kottayam nehmen müssten um dort in einen Bus nach Kumily zu wechseln. Hm, diese Information ist neu für uns.
Wir finden auch tatsächlich jemanden, der uns in einen Bus hineinsetzt. Aus Angst, dass unser Gepäck auf dem Dach landet stellen wir es einfach vorne neben den Fahrersitz. Und es beschwert sich niemand. Wird ab jetzt immer so gemacht.
Auf der Fahrt aus Ernakulam heraus fällt uns noch einmal auf wie schön Fort Kochin war. So leise und entspannt. Ernakulam ist typisch Indien: Dreckig und laut. Aber bereits kurz hinter Ernakulam gibt es die Naturschönheit der Backwaters zu sehen. Die so genannten Backwaters sind ein System aus kleinen und größeren Kanälen, die mit dem Meer verbunden sind. (Zu den Backwaters folgt ein separater Bericht.)
Die Fahrt verläuft recht ereignislos und so haben wir Zeit die Eindrücke einer indischen Busreise auf uns wirken zu lassen. Eine interessante Einrichtung in öffentlichen Langstreckenbussen ist die Klingelschnur. Diese Schnur ist an der Decke gespannt. Mit ihrer Hilfe betätigt der Schaffner eine mechanische Glocke. So signalisiert er dem Busfahrer, wann dieser anhalten oder weiterfahren soll. Außerdem fällt uns wieder auf, dass ein indischer Fahrzeugführer nur ernst genommen wir, wenn er alle zwei Minuten seine Hupe testet. Unser Fahrer will scheinbar ernst genommen werden. Nach zwei Stunden Geklingel und Gehupe erreichen wir Kottayam.
Der Infobeamte in Kottayam ist überraschend gut informiert. So sitzen wir sehr schnell im Anschlussbus nach Kumily. Die Höllenfahrt beginnt. Kurz hinter Kottayam zeigt der Busfahrer, dass er lieber Pilot geworden wäre. Er stellt seine Hupe auf Dauerbetrieb und setzt den Fuß aufs Gaspedal. Und da bleibt er auch. Egal, wie kurvig die Straße ist, es wird mit Vollgas geheizt. Wir klammern uns irgendwo fest und versuchen das Gepäck halbwegs zu fixieren. In manchen Kurven klammert sich sogar der Fahrer am Fensterrahmen fest. Trotzdem nimmt er den Fuß nicht vom Gas. Langsamer werden wir nur um in Orten unterwegs Fahrgäste zusteigen zu lassen. Meist sind diese Stopps allerdings in rekordverdächtiger Formel-1-Zeit erledigt. Wir stehen selten länger als eine Minute.
Umso erstaunter sind wir, als der Fahrer bei einem Stopp nach zwei Stunden plötzlich aus dem Bus springt. Da auch einige der Mitreisenden aussteigen, scheint dies wohl ein längerer Stopp zu sein. Wagemutig entschließen wir, mich zu einem Laden mit Gebäck zu schicken und auf gut Glück ein paar Teilchen zu kaufen. Eines, Blätterteig mit einer schärferen Curryfüllung, schmeckt sogar richtig gut. Wir überlegen, ob wir uns noch eins holen sollen, doch da fährt der Bus bereits an. Seltsamerweise fährt der Fahrer plötzlich sehr zivilisiert. Bevor wir uns zu sehr wundern können, folgt des Rätsels Lösung. Bei der Steigung kann der Bus einfach nicht schneller fahren. Es geht richtig in die Berge. Ich dachte Kumily läge an deren Fuß.
Bei unserem Anstieg bieten sich neben Aussichten in die Täler auch einige lustige Anblicke. Wir sehen „Woll-Lastwagen“, so nennen wir die am Straßenrand geparkten, total mit Stroh beladenen Lastwagen, von denen nur noch die Windschutzscheibe und die Reifen herausschauen. Außerdem kommen wir an einem chinesischen Restaurant, bestehend aus einem halboffenen Minibus mit Gaskocher, ein paar Sitzgelegenheiten, Talblick und einem großem Plakat, vorbei. Zudem wundern wir uns über ein Schild mit der Aufschrift „Auf Wiedersehen!“ Die meisten Inder sprechen schlecht Englisch und dann ein deutsches Schild in der tiefsten Provinz?
Wenig später wird Kiddy kalt. Wir sind jetzt schon ziemlich hoch. Und dann sehen wir die ersten Teeplantagen. Mit ihrer recht geordneten Struktur sehen sie sehr schön aus.
Eine halbe Stunde später sind wir in Kumily. Dort werden wir schon am Busbahnhof von Leuten belagert, die uns eine Unterkunft empfehlen wollen. Doch wir bleiben standhaft und weisen die Angebote der Provisionshaie zurück, ebenso wie die der Rikshwa-wallahs.
Wir beschließen uns zwei, drei Unterkünfte anzuschauen. Die Preise hier sind wirklich günstig. Man merkt, dass Nebensaison ist. Uns werden Zimmer für 150 Rupien angeboten. Aber zum Glück beschließen wir noch ein weiteres Gasthaus, das im Reiseführer empfohlen ist, anzusehen. Bei diesem angekommen sehen wir zunächst nur eine Baustelle. Der nette Besitzer bestätigt uns auch, dass im Haupthaus zur zeit nur das Restaurant und ein Nobelraum für 600 Rupien benutzbar sind.
Er hat aber noch weitere Unterkünfte, nur 200 m entfernt. Er führt uns in einen garten mit verschiedensten Unterkünften. Von Holzhütten, Bambushütten bis hin zu einer Art Baumhaus reicht das Angebot. Das Baumhaus ist wirklich süß und gemütlich, mit super Blick auf den angrenzenden Nationalpark. Leider gibt es nur ein Stehklo, das wollen wir nicht. So entscheiden wir uns für eine Bambushütte mit angeschlossenem europäischem Bad. Für 250 Rupien teilen wir uns diese Unterkunft mit einem kleinen Frosch und Insekten die im Bambus surren. Der Bambus verstärkt die Geräusche enorm.
Anschließen machen wir uns auf den Weg um uns über das Angebot an Touren in den Nationalpark zu erkundigen. Unser Hotelier hatte uns deutlich empfohlen nur zum staatlichen Tourismusbüro zu gehen, da den anderen Anbietern nicht zu trauen sei. Im Büro wissen wir zu nächst nicht, welche Tour wir buchen sollen. Von Bootstrips auf dem See, Hikes (3 Stunden bis 3 Tage) bis zu Touren auf Bambusflößern reicht das Angebot. Wir entschließen uns für eine Tour mit dem Bambusfloß.
Nachdem ich das Ticket im Büro der Wildhüter gebucht habe, versuche ich irgendwo ein paar Flaschen Bier zu kaufen. Jeder Einheimische, den ich frage, grinst wissend und schickt mich ein paar Meter weiter. Irgendwann bin ich nahe dem Ortsausgang. Dort gibt es einen staatlichen Shop, der Alkohol verkauft. Die einzige Stelle, wo es Alkohol gibt, wie ich lerne. Die Flaschen werden auch zur Tarnung in Zeitungen gewickelt. Eine leicht zu durchschauende Tarnung, wie mir die Zurufe der Passenten zeigen.
Am Quartier wartet Kiddy schon. Sie hat uns einen Platz auf dem zur Anlage gehörenden Hochstand gesichert. Hier oben genießen wir das kalte Bier, das nicht ganz so überzeugende Essen und die Situation an sich. Wir haben eine super sicht auf den Waldrand des nahen Naturschutzparks. Davor befindet sich ein Stück Land mit einem Gemisch aus Grasbewuchs und Sträuchern. Hier tummelt sich einer Wildschweinfamilie. Zu erst sehen wir nur Vater und Mutter, doch dann tauchen nach und nach auch noch die sieben Kinder auf. Nach der Dämmerung kommt das entfernte Wetterleuchten voll zur Geltung. Wir haben selten so intensive Blitze gesehen.

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