Wir werden wach und merken der Lärm (auf dem Dach) kommt vom Regen. Damit wissen wir, die Hausboot-Tour in den Backwaters fällt buchstäblich ins Wasser. Man kann sich meine Laune bestimmt vorstellen.
Nach einer kurzen Erregungsphase und längerem Nachdenken beschließen wir Kerala (so heißt der indische Bundesstaat in dem unsere bisherigen Abenteuer spielten) früher zu verlassen und uns morgen auf den Weg in Richtung Ooty einem Bergort in den Western Ghats (Südindiens höchster Bergkette) zu begeben. Die Buchung des Tickets am Bahnhof gelingt auch überraschend einfach.
Nachmittags halte ich das Klima im Hotelzimmer nicht mehr aus. Leider fehlt trotz all dem Luxus doch irgendwann der ordinäre Genuss Frischluft. Fenster gibt es nämlich nicht. Ich bestehe darauf, ein wenig durch die Straßen zu streifen. Zunächst spazieren wir über die Touristenmeile. Hier reagiert alle Welt auf uns Weiße. Jeder möchte uns etwas zu andrehen, sei es Essen, Kleidung, Schuhe oder passender Schirme.
Doch dann wagen wir uns über den Bazar auf eine Parallelstraße und plötzlich wandelt sich das ganze Bild. Wir erleben ein ganz anderes Indien. Wenn Leute nehmen von uns Notiz, aber sie lachen uns an oder bestaunen uns. Ansonsten gehen sie ihrem Leben nach. Für uns ein super Augenblick wieder ins wahre Indien zu blicken. Kleine, voll gestopfte und teils sehr spezialisierte Geschäfte (ein Mann sitzt in einem Laden in dem es Verstärker zu kaufen gibt), verstopfte Straßen, verschiedenste Verkehrsmittel (Ochsenkarren neben LKW), viele Farben und noch mehr Gerüche.
Sehr interessant ist ein Laden, der allem Anschein nach verschiedene Arten von Reisig und getrocknete Gräser verkauft. Auf meine journalistisch-interessierte Anfrage, um was es sich hierbei handelt, bekomme ich die etwas unwillige Antwort (scheinbar habe ich den Herrn beleidigt), dass das alles Zutaten für ayurvedische Medizinen sind. Muss man ja auch wissen. Ayurveda ist eine uralte Heilmethode, die unter anderem mittels Massagen, Kräutern, Duftölen und Aromatherapien das körperliche Wohlbefinden wieder ins Gleichgewicht bringen soll.
Vor einem kleinem Laden (später stellt sich heraus, dass es ein Reisgroßhandel ist) werden wir von einem jungen Inder angesprochen. Er lädt uns auf eine Tasse Chai (indischer Tee) ein und bald sind wir in ein Gespräch über Gott und die Welt. In der nächsten Stunde reden wir über Weltpolitik, Leben in Indien und Deutschland (es verwirrt ihn etwas von emanzipierten Frauen und Hausmännern zu hören), Zukunftsplänen und Investitionsmöglichkeiten. Unser Gastgeber beabsichtigt in einem Jahr ein Handelsimperium in Dubai zu gründen und möchte wissen, wo er sein Geld dann gut anlegen kann. Scheinbar plant er Häuser in Deutschland zu kaufen. Viel Glück dabei!!! Zu Abschied machen wir ein Foto. Er ist der erste Inder, den wir treffen, der nicht gerne fotografiert wird. Das erste Foto gefällt ihm nicht, deshalb frisiert er sich schnell noch mal. Er kämmt sich so richtig schön die Haare platt an den Kopf. Sieht so richtig sch… aus, naja wenn er es mag.
Wir schlendern noch etwas weiter durch die Straßen. Nach dem guten Chai von eben ist Kiddys Chai-Sucht wieder erwacht. Deshalb kehren wir in eine winzige Chai-Stube ein. Hier können wir dem Teekocher zu sehen, wie er kunstvoll Tee, Zucker und Milch mixt und unsere Gläser füllt. Der Chai ist echt klasse, nochmals deutlich besser als eben. Und mit 6 Eurocent pro Glas durchaus bezahlbar.
Beim Abendessen probiere ich einen Chili-Mocktail. Sehr gut. Der fruchtige Orangengeschmack harmoniert sehr gut mit dem scharfen Chili-Aroma (Gabriel, das werden wir im Center Parc mal nachbauen).
Nach dem Essen sind wir pappsatt. Deshalb machen wir einen Verdauungsspaziergang, Der Regen hat mittlerweile wieder eingesetzt und so wird es ein Regenlauf. Doch gerüstet mit einem Schirm (ich) und Gabis Jacke (Kiddy) bleiben wir trocken. Trotzdem suchen wir uns von Zeit zu Zeit einen windgeschützten Unterschlupf und sehen den Regenspielen der Inder zu. Diese sind sehr erfinderisch, wenn es um Regenschutz geht.
Wir sehen Leute, die dem Regen mit Plastiktüten, Planen und Pappkartons trotzen. Manche halten sich auch ihre Taschen über die Köpfe. Die Beifahrer auf den Motorrädern bekommen eine wichtige Rolle. Sie müssen Schirme oder Planen halten, ein sehr witziger Anblick. Besonders lustig ist aber der Typ, der mit Schirm im stärksten Regen mitten auf der Straße stehen bleibt, während links und rechts spritzend Motorräder und Autos an ihm vorbeifahren. Auch der kleine Junge, der auf seinem Fahrrad angeradelt kommt und sich für kurze Zeit den Unterschlupf mit uns teilt, hat seine eigene Art.
Er steckt in einem Regen-Cape. Bis auf Arme und Beine scheint er ganz gut geschützt zu sein. Aber aus irgendeinem Grund sucht er doch ein wenig Unterschlupf. Zu erst denken wir, vielleicht wartete er, dass der Regen etwas nachlässt, aber nach 5 Minuten steigt er wieder aufs Rad und fährt weiter. Diese Episode wäre nicht so interessant, wenn er sein Rad nicht hätte im Regen stehen lassen. Denn natürlich wurde der Sattel klatsch nass, aber das kümmert ihn nicht.
Irgendwann wird uns in unserem Unterschlupf aber doch etwas langweilig. Da der Regen nicht nachlässt, beschließen wir eben mutig dem Unwetter zu trotzen. Das ist gar nicht so leicht zwar sind wir oben herum gut geschützt, allerdings verwandelt sich die Straße mehr und mehr in einen Fluss. Man muss schon ein Pfadfinder sein, um den geheimen Fußweg noch zu finden. Jetzt wissen wir warum Inder meist offene Schuhe tragen, da läuft das Wasser besser ab. Und tatsächlich haben sie kein Problem einfach durch die Brühe zu laufen. Uns schreckt aber nicht nur das Nasswerden. Auch die Zusammensetzung der Brühe ist ekelig. Eine Mischung aus Wasser, Schlamm und Unrat, bäh.
Irgendwann erreichen wir überraschend trocken und sauber unser Hotel. Ich muss aber noch meinen Adoptiv-Inder erwähnen. Plötzlich taucht neben mir unter dem Schirm jemand auf, sagt „Hi“ und läuft mit. Verwirrt sehe ich einen kleinen Jungen, der mir gerade bis zur Schulter reicht. Als ich Kiddy zu rufe „Guck mal.“ verschwindet er. Ob ich ihn erschreckt habe? Naja, ich wollte ihn eh nicht behalten.
Bei all dem Spaß im Regen habe ich eine wichtige Beobachtung gemacht. Es ist auffällig, dass es drei Schirmhöhen gibt, sortiert nach Größe: Kinder, Inder und Westler.

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